Ich schlage die Augen auf.
Ein strahlend blauer Himmel lacht mich an. Wolken ziehen vorüber und die Spitzen roter Blumen wiegen im Rahmen meines Blickfeldes. Ich drehe mich zur Seite und da liegt er. Der Satyr.
Mein Satyr.
Ich schaue ihn eine Weile an, während er noch schläft. Ich betrachte sein markantes Gesicht, seine Brust und seinen Unterkörper. Die befellten Bocksfüße, die zu den Hörnern auf seinem Kopf passen. Er ist wunderschön. Ich drehe mich wieder auf meinen Rücken und schaue eine Zeit lang den Wolken zu, wie sie sorgenlos vorbeidriften. Der Wind beginnt zu rauschen und von irgendwoher kommt ein
Lied.
Ich horche auf, frage mich aber nicht, wer es singt. Ich weiß einfach, dass die Veylenen über mich wachen. Oder mich beobachten ... der zweite Gedanken lässt mich ein bisschen frösteln, aber der Moment geht schnell vorüber. Hier, wie mir scheint, geht alles Unschöne schnell vorüber ...
Ich spüre die warme Sonne auf meiner Haut und die sanfte Melodie zaubert Bilder in meinen Kopf. Ruhe ... Einsamkeit ... Rinheit ... ein Weg, der vor mir liegt ... schwere Wahrheiten, denen ich mich irgendwann stellen muss ... eine Reise ... Heilung ... Kraft. Sie sagt mir, dass ich hier sicher bin.
Dass ich alle Zeit der Welt habe ...
Ich muss keine Angst haben.
Aber ich bin allein.
Ich schaue wieder nach meinem Satyr, aber er ist fort. Verwundert stehe ich auf, blicke über das Mohnfeld, um ihn vielleicht noch zu entdecken ... aber ich sehe nur die roten Blumenköpfe, die sich langsam nebeneinander her wiegen ... Ein kalter Windstoß lässt mich wieder frösteln und mir fällt zum ersten Mal auf, dass ich nackt bin.
Doch ich schäme mich nicht dafür.
Immerhin, wenn dieser Ort der Himmel ist, oder irgendein Paradies - so ist es mein Paradies. Das heißt, wenn ich überhaupt tot bin ... Die Worte der Veylenen fallen mir wieder ein ... Ich muss herausfinden.
Ich denke.
Wenn ich nicht mehr lebe und dieser Ort soetwas wie mein Himmel ist, dann sollte ich auch Macht über ihn haben ... sollte ich ihn nicht formen können? Als mir eine erneute Windböe Gänsehaut macht, entscheide ich mich, es am Wetter auszuprobieren. Ich muss nur den Gedanken an Wärme haben, da explodiert ein gleißendes Licht vom hellsten Punkt am Himmel und treibt alle Wolken fort ... Ich lächle und schaue staunend zu.
Dann schaue ich an mir herab. Ich bin überrascht. Die meisten Proportionen und Begebenheiten meines Körpers sind so, wie ich mich an sie erinnere. Meine Beine sind vielleicht etwas länger und meine Haut weicher.
Und nirgenwo ist der Haarwuchs, den ich einst hatte ...
Aber nur eine Sache ist grundauf anders. Eine Neutralität hat sich über mich gesenkt.
Ich führe meine Hand über die neue Haut und bin immer faszinierter. Gleichzeitig ist das ein wundervoller Zustand. Erleichterung flutet meine Seele. Ich muss mich nicht mehr entscheiden!
Ich bin kein Mädchen, kein Junge ... Ich bin einfach ich.
Noch immer wogt das Mohnfeld im Sonnenschein. Ich mache mich auf, die Gegend zu erkunden.
Das weiche Gras umschmeichelt meine Füße. Ich brauche auch kein Schuhwerk, so wie ich keine Kleidung brauche.
Dieser Ort ist alles, was ich will.