Sie gingen nicht zu Sandra nach Hause. Sie gingen in den Wald.
Die Sommersonne hatte die oberste Schicht des Laubes verbrannt und den Boden brüchig und staubig werden lassen, während die warme Luft zwischen den knorrigen Stämmen der Bäume stand und nur selten ein Luftzug das schlaffe Gestrüpp bewegte.
Ausgelaugt wie es war und von kranker, blasser Farbe, erinnerte es mich an die Hand meiner Mutter im Krankenhaus.
Die hatte auch so schlaff herabgehangen, nachdem sie gegangen war.
Welkes Laub aus Fleisch.
Ich konnte beide Mädchen sehen.
Ihre hellen Oberteile blitzten immer wieder zwischen den dunklen Baumstämmen durch und ihr Gekicher klang wie das Gelächter von Kobolden, die einen Streich aushekten.
Mich bemerkten sie nicht.
Die Hitze und ein seltsam süßer, schwerer Geruch machten mir das Atmen schwer.
Nelken?
Ein Schweißtropfen rann mir an der Schläfe hinab und ich wischte ihn ärgerlich beiseite und ging schneller.
Wo wollten sie hin?
Scheinbar ziellos schlugen sie Haken im Unterholz, bald wusste ich nicht mal mehr aus welcher Richtung wir überhaupt gekommen waren. Doch über den Rückweg machte ich mir in dem Moment keine Gedanken.
Wichtig war nur, dass ich sie nicht verlor!
Die Bäume standen nun immer dichter, das Licht wurde von den dunklen Baumkronen über mir immer weiter ausgesperrt und die ungewohnte Kühle nach Wochen der Hitze ließ mich frösteln.
Der Waldboden war übersäht mit toten Ästen und faulendem Laub, denn seltsamerweise war der Boden hier irgendwie… matschiger…
Jeder meiner Schritte wurde von schmatzenden Geräuschen begleitet und meine Schuhe waren mit einer grauen Schlammschicht überzogen.
Der Duft von vorhin war einem feuchten, ekligen Geruch gewichen und die Feuchtigkeit kroch mittlerweile auch durch meine Kleidung hindurch und gesellte sich zu dem salzigen Film, den die Hitze dort hinterlassen hatte.
Ich fühlte mich klebrig, schmutzig und unwohl.
Sandra und Nell waren verschwunden.
Erschrocken blieb ich stehen und sah mich um. Ich hatte sie doch gerade eben noch gesehen…
Eine leise Angst wallte in mir auf als ich mich um mich selbst drehte und nichts sah außer schwarzen Baumstämmen und schlammigen Waldboden.
Alle Farben waren mittlerweile verblasst. Es gab nur Schwarz, braun und grau.
Es wurde dunkel… und ich war allein.
Ein platschendes Geräusch ließ mich herumfahren.
Ich hatte es ganz deutlich gehört… doch jetzt war da nur Stille und ein wenig Geraschel.
Nicht mal irgendwelche Vögel… das war seltsam.
Sollte ich sie rufen?
Nein! Das ließ mein Stolz nicht zu. Sicher würde ich die beiden gleich wieder zwischen den Baumstämmen entdecken.
Doch je länger mein suchender Blick erfolglos blieb, so nervöser wurde ich.
Es wurde immer dunkler und kälter. Bald würde ich nicht mehr allzu weit sehen können und dann? Was sollte ich machen?
Mein hilflos umherhuschender Blick blieb an zwei Bäumen hängen, die sich auf eine komische Art zueinander bogen. Ihre Stämme waren gebeugt wie das Kreuz eines sehr alten Menschen und ihre Kronen waren ineinander verwachsen und verheddert.
Man konnte gar nicht mehr sagen, welcher Ast zu welchem Baum gehörte…
Da war ein Arm.
Der Schreck fuhr mir so heftig in die Knochen wie ein Stromschlag. Mein Herz stolperte über den nächsten Schlag und ich fühlte wie sich mein Brustkorb zusammenzog und ich zu röcheln begann.
Der Arm war immer noch da. Zwischen den Bäumen.
Er hing aus dem Wirrwarr von Blättern und Ästen, eine knochige Hand mit langen Fingern die sich wie Spinnenbeine bewegten.
Mir wurde schlecht und meine Beine begannen zu zittern.
Das war unmöglich!
Ich keuchte und machte einen Schritt zurück.
Der Arm wurde länger…
Ein Ellbogen kam zum Vorschein, dann der Oberarm… es schob sich irgendwas von oben aus dem Laub hervor.
Neben dem Arm, fielen strähnige Fransen aus dem Laub.
Das war ein Alptraum! Ich musste träumen, das war alles nicht echt!
Ich blieb nicht lange genug um auch noch den Rest zu sehen, ich drehte mich um und rannte.
Vergessen war Sandra und auch Nell. Ich wollte hier nur raus!
Meine Lungen protestierten, krampften sich zusammen und schnürten mir immer mehr die Luft ab.
Aber die Panik vor diesem Wald war größer als die Angst zu ersticken.
Meine Füße versanken immer tiefer im Schlamm und ich kam kaum noch vorwärts. Mehr als einmal fiel ich hin und meine Sachen waren schon über und über mit Schlammspritzern bedeckt, als ich mit dem Fuß an irgendetwas hängen blieb und der Länge nach stürzte.
Dieses Mal konnte ich mich nicht mehr mit den Armen abfangen, Schlammwasser lief mir in die Nase und den Mund und ich konnte nichts mehr sehen, weil das sumpfige Zeug in den Augen brannte, noch mehr wenn ich rieb.
Ich hustete gequält und wollte aufspringen und blind weiterlaufen, als neben mir etwas auf dem Boden aufschlug.
Das Geräusch war laut, schwer und nass.
Mein Körper erstarrte.
Da war etwas. Direkt neben mir!
Und in der Luft war nur das Rasseln und Gurgeln meines eigenen, gequälten Atems.
Zornige Lisa…
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Die geborene Schauspielerin
Natürlich will sie weg von dir
Natter!
Hol sie dir doch einfach zurück...
Ich würgte an Schlamm und Wasser und konnte nichts sagen.
Etwas kaltes, glitschiges berührte meinen Oberarm und ich schrie auf bis plötzlich nichts mehr aus meinem Körper brach, außer Wasser.
Früher oder später verlassen sie dich alle!
Warum also nicht
Welkes Laub aus Fleisch
War das der Tod?
Oder war ich eingeschlafen und Mama würde mich gleich wecken um mir zu sagen dass das alles nur ein böser Traum war? Das sie noch da war, dass sie mich nicht allein ließ. Und Nell auch nicht…
Ich bekam keine Antwort, hockte nur weiter im Schlamm und erbrach literweise Wasser, bis mir schwarz vor Augen wurde.