Betty
Die Köchin saß schweigend am Feuer und starrte in die Flammen, während James den Inspektor durch das Haus führte. Sie wusste nicht mehr ganz, wie sie sich fühlen sollte. Es schien so unwirklich, dass die Dame des Hauses nach so langer Zeit plötzlich verstorben war. Sie war nicht mehr die jüngste gewesen, das stimmte, aber sie hatte noch ihre Gesundheit gehabt. Keine lange schwere Krankheit, keine Herzleiden ... und dann einfach tot. Irgendwas stimmte an der Sache nicht.
Die große Treppe knarzte, als eine Gruppe Polizisten und Forensiker hinauf stieg und Betty trat an die offene Küchentür, um ihnen nachzusehen. Sie wusste nicht recht, was sie tun wollte. Ihre Neugierde gebot es ihr herauszufinden, was vor sich ging und doch fühlte sie sich vom Schock gelähmt. Auch wenn sie das Ableben ihrer Herrin nicht ganz glauben konnte, so wusste sie, dass damit nun ein Kapitel zu Ende ging. Fast vierzig Jahre hatte sie sich um dieses Haus und die Menschen darin gekümmert. Und jetzt war alles vorbei.
Sie leerte ihr Schnapsgläschen und fasste sich zusammen. Tee. Ja, sie würde Tee kochen. Für James und Anna und die Polizisten. Als sie das Wasser aufsetzte, Geschirr auf einem Tablett anrichtete und eine kleine Keksdose dazu stellte, überkam sie ein vertrautes Gefühl. Sie würde sich trotzdem noch um andere kümmern können, auch ohne Lady Perrimore. Gerade hatte sie diesen Gedanken zu Ende gebracht, da hörte sie erneut das Quietschen der großen Treppe. Diesmal kamen Leute herunter.
Zwei Männer, die einen langen weißlichen Kunststoffsack zwischen sich trugen.
Betty schluckte. Ihren Körper überkam ein taubes Kribbeln.
Das hatte sie nicht sehen wollen. Der Anblick hatte eine schlimme Realität an sich. Mehr noch als der Leichnam im Bett, den sie gerademal eine Stunde zuvor erblickt hatte. Jetzt konnte man sich nicht mehr vorstellen, die alte Dame läge nur im Schlaf.
Wie um die Köchin aus ihren Gedanken zu reißen, pfiff der Wasserkocher auf dem Herd. Sie zuckte kurz zusammen und beeilte sich dann, das Tablett fertig zu machen.
James stand im Hauseingang an der offenen Tür und blickte nach draußen. Betty lief vorsichtig mit dem Tee zu ihm und wollte grade fragen, wo Anna denn sei, da vernahm sie die Stimme von Miss Toulouse, die auch schon am Arm eines unbekannten Mannes durch die Tür trat.
Ah! Guten Morgen. Ein zweiter Mann trat zu ihr und James. Ein Mann, der seiner Kleidung nach ein Inspektor oder Kommissar war. Sein Gesicht strahlte trotz der leisen Anzeichen mittleren Alters noch eine jugendliche Energie aus, obgleich er zum jetzigen Zeitpunkt kein breites Lächeln trug.
Sie sind Betty, die Köchin, richtig?
Guten Morgen. Ja, die bin ich. entgegnete sie höflich.
Gut. Sehr gut. Er machte eine Notiz in einem kleinen Büchlein.
Ich bin Inspektor Blakely.
Dann wandte er sich zu Miss Toulouse und ihrem Begleiter und sagte etwas lauter
Wenn Sie mir nun bitte alle in den Salon folgen...
Er nickte James zu.
Konnten Sie das Dienstmädchen ausfindig machen?
Holly
Die alte Dame ist tot. Holly verarbeitete noch diese Nachricht, als Howard sie durch die Eingangstür in das Herrenhaus führte. Dabei klammerte sie sich fest an seinen Arm. Gedanken jagten in ihrem Kopf hintereinander her. Das machte die ganze Sache nun etwas komplizierter.
In der Eingangshalle standen der Butler und die Köchin wie ein Empfangskomitee. Beide sahen nervös und angespannt aus, vor Allem die Köchin. Der Inspektor wechselte einige Worte mit ihnen und führte die kleine Truppe daraufhin in den Salon des Erdgeschosses.
...
Wenige Minuten später saß die junge Frau in einem der großen Sessel beim Kaminfeuer, hielt eine Tasse Earl Grey in ihren Händen und blickte in ihren Schoß. Der flüssige bernsteinfarbene Kreis, umrandet vom weißen Porzellan mit dem Hintergrund ihres leuchtenden roten Kleides gab ein hübsches fröhliches Bild ab, doch ihr war keineswegs zum Lachen zumute. Howard hatte sich hinter ihren Sessel gestellt und ergriff den hölzernen Rand der Rückenlehne, den Inspektor erwartungsvoll anblickend. Auch Holly schaute auf, als dieser zu sprechen begann.
Guten Morgen, mein Name ist Inspektor Blakely. Wie Sie nun alle wissen, ist die Dame dieses Hauses, Lady Perrimore, in der Nacht verstorben. er machte ein Pause
Bevor die Laborresultate zurückkommen, können wir keine genauen Aussagen über die Todesursache machen, allerdings haben wir Grund zur Annahme, dass ihr Tod nicht natürlich war. Ich bitte Sie darum, mit der Polizei und mit mir zu kooperieren und mir zur erlauben, Ihnen allen separat ein paar Fragen stellen zu dürfen, damit -
Bitte? unterbrach ihn Howard, der seit der Bekanntschaftsmachung vor der Tür kein Wort gesagt hatte.
Das klingt ja, als würden Sie uns verdächtigen, etwas mit ihrem Tod zu tun zu haben!
Der Inspektor fixierte ihn kurz mit einem scharfen prüfenden Blick. Als er sprach, war seine Stimme geduldig, aber in bestimmtem Ton.
Wie gesagt, der Tod Lady Perrimore's war möglicherweise nicht durch ihr Alter oder eine Krankheit bedingt. Im Zuge meiner Arbeit als Ermittler ist es meine Pflicht, Information über ihr Ableben zu sammeln. Dazu gehört auch das Untersuchen ihrer persönlichen Beziehungen. Sie müssen sich nicht sorgen, wenn ... sie nichts zu verstecken haben.
Francois
Es war ein wunderschöner Tag, fand Francois. Zumindest, was sein Spielen betraf. Das Wetter, heute in einem besonders englischen Grau, spiegelte nicht die sonnige Glückssträhne wider, die sich durch seinen Morgen zog. Er blickte auf den Tisch und legte einen kleinen Stapel Jetons in die Mitte.
Ich erhöhe.
Poker.
Nicht sein Lieblingsspiel, wobei sich das im Verlauf dieser Partie etwas verändert hatte, aber das Savois bot nunmal kein Roulette.
Der Herr neben ihm schnalzte mit der Zunge und legte seine Hand enttäuscht auf die grün-samtene Tischdecke.
Ich scheide aus.
Belinda kicherte.
Das dachte ich mir, Carlisle. Du bist einfach zu schlecht.
Carlisle schnitt ihr eine Fratze und sank gespielt schmollend in seinem Sessel zurück.
Ich allerdings erhöhe auch. Sie ließ Francois ein schelmisches Lächeln zublitzen, bevor die Runde weiterging.
Die Gruppe, mit welcher er am Tisch saß, hatte er erst vor wenigen Tagen kennen gelernt. Aber die Leidenschaft, die alle Spieler gemeinsam haben, hatte schnell das Eis gebrochen. Dabei war er nur im Savois, weil er zur Zeit seine Tante besuchte. Ja ja, die gute alte Tante Elizabeth. Möge sie lange leben und ihm noch viele solcher Spielrunden bescheren. Er musste sie nur wieder milde stimmen, bevor er nach London zurück kehrte; die einzige Stadt, in der es sich lohnte zu sein - fand er.
Wie sich herausstellte, hatte Belinda einen Straight Flush, gegen den sein Vierer nicht ankam. Sie lachte entzückt und zeigte dabei ihre weißen Zähne. Francois neigte ihr kokett das Haupt zu und tat so, als wirlbe er einen großen Federhut von seinem Kopf nach vorn.
Die neue Partie wurde gerade ausgeteilt, da trat ein Angestellter des Hotels an ihn heran.
Lord Perrimore, ein Anruf für Sie.
Ach, kann das nicht warten?! sagte er mit ernster Mine - genervt, dass man ihn ausgerechnet jetzt störte.
Nunja fuhr die Bedienung leise fort Es geht um ihre Tante. Lady Perrimore.
...
Binnen einer Viertel Stunde hatte er sich von der Pokerpartie entschuldigt und einen Chauffeur des Hotels herbeordert. Er war nach oben in seine Suite geeilt, hatte sich enen Mantel und einen Schal angezogen und saß nun im Wagen, auf dem Weg zum Herrenhaus seiner Tante. Gedankenversunken starrte er heraus in die wolkenbeschattete Landschaft.
Nein. Nein, nicht jetzt. Das darf nicht jetzt passieren. Nicht so kurz vor dem Ziel.
Es begann zu regnen.
Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von »AngelsShadow« (19. Februar 2016, 06:43)