Die Familie van Roul trank gemeinsam einen Tee im Pavillon. Nur ihr Sohn Nadir war nicht anwesend. Er musste nämlich eigener Pflichten nachkommen, wie zum Beispiel dem Anstandsunterricht. Er war gerade mal 8 und hatte natürlich besseres vor. Regelmäßig machte er den Angestellten das Leben schwer und fand immer neue Verstecke und Schlupfwinkel. Das Erbe der Rouls kam ihm dabei sehr entgegen und es gelang ihm oft sich den quälenden Stunden des Unterrichts zu entziehen.
Es war Teezeit und alle waren entspannt, die Atmosphäre war wie gemacht, um eines der wichtigsten Themen des Lebens für ein Mädchen zu besprechen. Ganz oben standen die Hochzeitspläne für die Tochter, Marie. Ihr Vater Iwan und ihre Mutter Carmina hatten nämlich endlich einen vielversrechenden Kandidaten ausgewählt, der Sohn von Lugio und Siren di Carpo. Phillipe. Er wies im Vergleich zu anderen Personen die meisten Punkte auf, die verlangt waren. Daher hatten Iwan und Carmina ohne das Wissen ihres Kindes mit den di Carpos regen Briefverkehr geführt und sind zu einer Übereinkunft gekommen. Eine Einladung wurde dann entsandt und in den nächsten Tagen würden ihre Gäste ankommen. Es wurde langsam Zeit Marie davon zu unterrichten.
„Marie. Du weißt warum wir mal wieder gemeinsam Tee trinken“, begann ihr Vater die Konversation und Marie, die die rhetorische Frage erkannte und daher nicht antwortete, ahnte bereits, dass es etwas wichtiges sein musste, was sie selbst betraf.
Iwan hatte nach ein paar langen Sekunden seine Kunstpause beendet und fuhr fort. „Natürlich nicht. Also hör bitte zu und unterbrich nicht“, ermahnt er seine Tochter, die keinen Laut von sich gegeben hatte.
„Du bist nun 16 Jahre alt und es wird höchste Zeit, dass du einen geeigneten Gemahl bekommst“. Marie rührte sich nicht. „Du hast sicher schon den Namen Carpo gehört. Deren Sohn, Phillipe, ist die geeignetste Wahl für dich. Er wird mit seinen Eltern bald eintreffen“. Iwan ist immer sehr direkt. Von langen Reden hält er nicht viel.
Während dieser kurzen Ansprache beobachtete Carmina aufmerksam ihre Tochter und war bereit bei der kleinsten Veränderung Maßnahmen zu ergreifen. Ernsthafte Maßnahmen. Doch Marie blieb ruhig und zeigte keinerlei unpassende Reaktionen oder anmaßendes Verhalten.
„Verehrter Vater“, erklang nun Maries klare Mädchenstimme, „Wenn Ihr Ihn für geeignet haltet, dann werde ich Phillipe sehr gern zum Gemahl nehmen“. Es folgte ein Schweigen. Die drei sahen sich abwechselnd an, in Maries Gesicht zeichnete sich eine unausgesprochene Frage wider, bis Carmina zu ihrem Mann Iwan sprach: „Erlaube ihr, ihre Fragen zu stellen“. Weiter Zeit verstrich ehe Iwan langsam nickte. Auch er musste eingestehen, dass es mit der bloßen Verkündung nicht getan war.
„Ich danke euch, Vater. Wann genau wird denn die Ankunft erwartet?“, stellte Marie ihre Frage. „Ihre Ankunft wird in drei Tagen erwartet“, kam die knappe Antwort von Iwan und mit wenigen weiteren Worten war dieses Thema abgehackt. Marie entschuldigte sich und setzte zu einer Antwort an. „Verehrte Vater, entschuldigt aber habt ihr nicht die bevorstehenden Kampfhandlungen vergessen?“. Damit spielte Marie auf die auch erst kürzlich über ihren Kopf hinweg gefällte Entscheidung an, dass sie sich einer Gruppe von Kriegern anschließen sollte, da sie ja, obwohl untypisch für ein Mädchen, eine Ausbildung in den Kampfkünsten genossen hatte. Jedoch hat die Gildenführung einen Krieg beschlossen und da sollte sie anwesend sein.
Iwan runzelte die Stirn. Er hatte es tatsächlich vergessen. Der Krieg warf seine ganze Planung auf den Kopf. „Nun. Dann nehmen wir deinen Beitritt wieder zurück, es war sowieso nur eine Übergangslösung bis wir jemand geeigneten für dich gefunden hätten. Das ist jetzt eben früher als gedacht der Fall“. „Aber...“, „Still, Marie!“, donnerte Iwan und unterband jeglichen weiteren Protest im Keim. Marie saß ganz still und verkniff sich jedes weitere Wort. „Such jetzt deinen Bruder und sorg dafür, dass er nicht wieder den Unterricht schwänzt und ich möchte nichts von dir hören was diese Gilde betrifft. Das Thema ist fertig. Dein Beitritt wird rückgängig gemacht!“. Es war offensichtlich, dass dies seine letzten Worte dazu waren.
Marie fügt sich in ihr Schicksal und erhebt sich galant von ihrem Stuhl. „Mutter“, Marie neigt kurz den Kopf und wendet sich Iwan zu „Vater“, neigt auch ihm gegenüber leicht das Haupt und entfernt sich vom Teepavillon. Sie würde wie aufgetragen ihren Bruder suchen gehen und dafür sorgen, dass er etwas lernte.