(von Klaudius von der Hagen )
Sie sah wie ein gefangengenommener Schmetterling aus – So schön, so zerbrechlich,so hilflos. Jeder Mann braucht eine Ashley in seinem Leben, um über sich selbst hinauszuwachsen. Meine war dieses zarte Püppchen in Ketten an der Wand hängend und in den Klauen dieses alten Sackes von Magier mit dem Stock. Wie lange würde er wegbleiben? Wie viel Zeit hatte ich, Ashley zu befreien? Wann würde Olli mein verschwinden bemerken?… ähm ich meine meinen angeblichen Leichnam vermissen?
Oder funktionierte er, wie ich - aus den Augen aus dem Sinn?
Einer Eingebung folgend, besprenkelte ich Ashleys Gesicht mit dem Wasser, wie ich es vorher beobachtet hattet. Sie hustetet. Als sie ihren Kopf hob und ich ihr direkt in die grossen Augen sah, schwoll mein Herz vor Ritterlichkeit an. Ich wollte sie von der Wand reissen. Dem Magier seinem dämlichen Stock entwinden und so lange auf ihn einschlagen bis kein Leben mehr in ihm steckte. So eine Wut kroch innerlich bei ihren Anblick in mir empor. Mein Herz rast, als ich noch einmal behutsam an ihrem Fuss rüttelte.
«Ashley?» «Wer seit Ihr?»,ihre Stimme war zart wie ein Windhauch.
«Mein Name ist Klaudius von der Hagen. Ich bin hier, Euch zu retten.»
«Rettet Euch selbst. Er wird bald zurück sein. Wenn er bemerkt, dass ich nicht mehr hier bin, hat das entsetzliche Konsequenzen.»Sie will die Augen wieder schliessen. Doch ich lasse dies nicht zu. Schulterzuckend antworte ich ihr:«Ich werde mit den Folgen meines Handelns wohl leben müssen. Denn ich werde nicht ohne Euch hier weggehen?» Ein gewinnbringendes Lächeln stahl sich auf meine Lippen.Sie sah wohl ein,dass es keinen Sinn ergab, in ihrer Situation, mit mir zu diskutieren. Sie lenkte ein:
«Ein Hebel in der Mauerspalte - da hinten. Er liegt ein wenig versteckt. Seht ihr ihn?» Ich ging in die Richtung, in die sie mich wies und zog an dem Hebel, dem ich dort gewahr wurde. Es knackte laut. Im nächsten Moment hielt ich den abgebrochenen Hebel in der Hand. Ich sah mich hastig im Raum um, ob der Magier dieses Geräusch vernommen hatte oder noch schlimmer Olli jeden Moment hier hereingeplatzt käme? Auf eine zweite Begegnung mit beiden konnte ich gut und gerne verzichten.
Schuldbewusst starrte ich auf den abgebrochenen Hebel in meiner Hand.Er fühlte sich alt und morsch in meiner Hand an. Kein Wunder, dass er bei
meiner feinfühligen Berührung entzwei brach. Typisch, so etwas konnte nur mir passieren. Es ward Eile geboten und ich war auf dem besten Weg, die Situation gehörig an die Wand zu fahren. Innerlich rang ich mit meiner Selbstbeherrschung.
«Es könnte noch einen klitze kleinen Moment dauern.»,wand ich mich mit einem Lächeln an Ashley, welches eher meine Unsicherheit widerspiegelte, als meine
Zuversicht in diese verfahrene Kiste. Doch sie schien dies zu meinem Glück nicht zu bemerken. Vorsichtig begann ich die Wand hinter dem Hebel abzuklopfen. «Pock, pock, pock,pock,pock.» War denn das die Möglichkeit? Sie hörte sich an, als wäre sie hohl.
Genau,ihr hört richtig, die Wand bestand aus Holz – aus herausnehmbaren Holzbrettern. Also ich will mich ja nicht selber loben, aber mit ein wenig Druck an den richtigen Stellen, bekam ich die Bretterwand geöffnet. Sand rieselte mir durch die Öffnung entgegen. Eine Art Seilzugsystem legte sich vor meinen Augen frei. Es schien all die
Jahre hier verborgen gewesen zu sein. Ich begriff schnell, dass das am Ende hängende Gewicht, nur langsam genug hoch bewegt werden musste, um Ashley von der Wand hinunter zu bekommen. Mit äusserster Präzession zog ich daran. Das Gewicht begann langsam zu steigen, während Ashley dem Boden entgegen sank. Jetzt brauchte ich nur noch einen Anker, um beide dort zu halten, wo sie sich im Augenblick befanden. Ich wog meine Optionen ab. Der morsche Hebel würde für diese Aufgabe auf gar keinen Fall in Frage kommen. Mein Blick schweifte weiter im Raum umher und blieb an der von mir zur Seite gestellte Bretterwand haften. Mit einem geübten Kick spaltete ich eins der Bretter, so dass der entstanden Spat mir als Bolzen dienen konnte.
Als ich meine Notkonstruktion so betrachtete, wuchs der Stolz meines eigenen Erfindergeist in mir und schien mich für sich zu vereinnahmen. Ich wollte mir am liebsten auf die Brust schlagen und wie ein Urmensch brüllen:»Hab ich gemacht.» Beschloss jedoch meinen Triumph auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Da es in der jetzigen
Situation sehr unangebracht gewesen wäre laut aufzuschreien und wie ein grinsendes Honigkuchenpferd herumzustolzieren.
Ein leises Stöhnen löste mich von der Betrachtung meiner eigenen Genialität und beförderte mich prompt in die Gegenwart zurück. Der Laut kam vom anderen Ende des Systems. Genauer gesagt von Ashley,deren Ketten nun gelöst waren. Sie versuchte sich mühsam aufzurichten. Jedoch kam sie nicht weit, bevor ihr Körper wieder in sich zusammen sackte.«Wir müssen hier weg»,flüsterte sie, und dann wurde sie ohnmächtig…
Mir blieb nichts anderes übrig als mir Asley über die Schulter zu werfen und einfach loszurennen. Nur weg von diesen Ort und am Besten ans Tageslicht. Leider befanden wir uns immer noch in diesem eigenartigen Labyrinthischen Höhlensystem unter der Stadt von dem ich bis jetzt keine Ahnung hatte, das es existierte. Völlig ohne Plan lief ich auf Geradewegs los. Ich folgte eine Weile dem Wasser, des unterirdischen Flusses, dem ich schon begegnet bin, bei meiner Flucht vor Olli. Als ein riesiger Fels mein Vorankommen hinderte, bog ich in den ersten Gang ab der sich mir bot. Spätestens jetzt hätte ich umkehren sollen. Mir einen Weg durch Ollis Goldsaal bannen sollen und Ashley zu ihrem Geist, oder was immer das auch war, was die versiegelte Tür nicht betreten konnte, abliefern sollen. Aber ich bin Klaudius von der Hagen. Ich tue nie, was andere Leute von mir erwarteten. Also fing ich jetzt auch nicht damit an. Bei mir hatte man prinzipiell mit allem zu rechnen.
«Lass mich bitte runter!» kam es sehr kleinlaut von meiner Schulter. Ashley war erwacht. Ich hatte sie wohl oder übel reichlich durchgeschüttelt auf meiner planlosen Flucht. Sie taumelte ein wenig als ich versuchte sie vorsichtig auf dem Boden abzusetzen. Beherzt griff ich zu, um sie im Notfall aufzufangen. Aber sie richtete ihren Körper von alleine auf. Ashley war wirklich ein zierliche Person. Sie reichte mir aufrecht stehend gerade mal bis zum Anfang meiner Brustwirbel. Alles an ihr war filigran ausgearbeitet und wirkte zerbrechlich. Sie wirkte, als würde sie nicht von dieser Welt stammen, sondern nur kurzweilig auf ihr unterwegs sein.
«Danke.Das ihr mich gerettet habt.»,fügte sie mit einem schüchternen Lächeln hinzu.
«Kein Problem.»,winkte ich ab. «Aber ich denke, wir sollten hier nicht stehen bleiben. Es ist hier nicht sicher. Ich weiss nicht, ob unsere Verfolger Euer Verschwinden schon gemerkt haben.»-
«Wohin gehen wir?»,fragt sie mich.
«Ich würde sagen noch mindestens einen halben Tag – tiefer in dieses Höhlensystem rein.Damit sie uns nicht mehr finden können.»
Stumm nickt sie nur zu dem Gesagten. Ich werte das als Zustimmung ihrerseits und begebe mich auf den Weg - immer tiefer in das Höhlensystem hinein.
Unser vordringen in das Labyrinth ging schnell von statten. Immer wieder werfe ich einen Blick über die Schulter, oder auskundschafte den vor mir liegenden
Weg nach Fallen oder Hindernissen, die wir überwinden müssen, um unseren Verfolgern zu entkommen. Ich habe das Gefühl, dass noch nie jemand soweit in dieses System, aus ineinandergreifenden Wegen, vorgedrungen war, wie wir das an diesem Tag taten.
«Halt bitte an!»,jammerte Ashley «Ich kann nicht mehr weiter gehen.» Sie liess sich auf ihren Hosenboden fallen und verschränkte die Arme vor der
Brust. «Mir tut alles weh.Ich laufe heute keinen einzigen Schritt mehr.» Ich setzte mich zu ihr. «Wir alle müssen Dinge tun,die wir nicht wollen. Das ist Teil unseres Lebens.» Sie neigte ihren Kopf zu mir und sah mich unverständlich an, als sie mit Nachdruck meinte: «Ich nicht.» Ich lachte bei ihren Worten auf. Sie klangen wie von einem trotzigen Kind gesprochen: «Auch du. Ansonsten hängst du bald wieder an dieser Wand und ich werde dann nicht kommen und dich abermals retten.Wie bist du überhaupt in diese Situation geraten?» Sie schwieg eine Weile, als wöge sie ab, was ich erwartete von ihr zu hören. Ashley begann ihre Geschichte zu erzählen.