(von Klaudius von der Hagen )
„Wer bin ich?“, fragte dieses klebrig, honigsüße Stimmchen noch einmal.
Diese Stimme konnte niemanden Anderem gehören als der größten Nervensäge auf diesem Planeten: Vanessa. Deswegen fiel meine Begrüßung auch eher unfreundlich aus:
„Hab ich dich nicht bereits in der letzten Stadt im Fluss versenkt?“ -
„Das war auch nicht sehr freundlich von dir. Aber sei unbesorgt. Ich konnte mich aus dem Fass befreien, in welches du mich locktest und jetzt bin ich hier. Was hast du vor?“ -
„Mit dir? Nichts. Schieb ab du nervst!“ Ich befreite mich von ihren Händen und stapfte missmutig die Straße entlang. Frauen! Ist man der Einen um Haaresbreite entkommen, wartet schon die Nächste...
Die Geschichte zwischen mir und Vanessa ist eigentlich keine Geschichte. Denn es gibt keine Geschichte, die mich und Vanessa verbindet. Das Band, welches uns zufällig immer wieder zusammentreffen lässt, beruht viel mehr auf einem Missverständnis ihrerseits und einem zu späten Aufklärens meinerseits, weswegen ich die Klette immer am Hals habe, sobald ich nicht aufpasse, meine Schritte in die zu ihr entgegengesetzte Richtung zu lenken.
Nun war ich aber auf der Flucht vor der Contessa Lockard und konnte mich nicht mit solch Kleinigkeiten beschäftigen wie, wo steckt Vanessa? Lauert sie mir gerade wieder auf? Welchen Weg sollte ich benutzen, um ihr nicht in die Hände zu fallen? und so weiter und sofort... Ihr seht mein Leben ist um es gelinde auszudrücken... ein wenig kompliziert, nicht nur in dieser Jahreszeit, sondern auch in allen anderen Jahreszeiten. Also kurzum: Ich war nicht erpicht darauf, Vanessa wieder zu treffen.
Die Eigenschaft, die sie am Besten beschreibt, ist die eines Magneten mit umgedrehten Pol. Genau. Sie stößt mich ab. Oder besser gesagt, sie stößt mir auf. Vom Äußeren gleicht sie einer typisch rassigen Rothaarigen - grüne Augen mit heller Haut und Sommersprossen. Sie besitzt das niedlichste und unschuldigste Gesicht auf der mir bekannten, ganzen, weiten Welt. Dazu hat sie noch diese hohen geformten Wangenknochen bekommen, die jeden Mann dahinschmelzen lassen, wenn sie sich leicht röten. Ihr Mund geformt zu einem perfekten Kussmund. Auch das Schönheitsmal über der Lippe fehlt nicht... Ätzend, wenn Mutter Natur sämtliche Schönheitsgaben an eine und dieselbe Person verteilt. Dazu kommt noch, dass sie naiv ist, und alles was ich ihr erzähle für wahr hält... also im groben Sinne die perfekte Frau...aber nicht für mich. Schon des öfteren versuchte ich dies klar zu stellen, aber vergebliche Liebesmühe. Nicht mal ein verschlossenes Fass, welches eigentlich jetzt mit ihr darin auf einer Südseekreuzfahrt unterwegs sein sollte, hinderte sie daran mich zu suchen, zu finden, und sich an mich zu hängen.
Sie denkt doch tatsächlich, hinter meiner natürlichen Abneigung ihr gegenüber verberge ich nur mein wahren Gefühle für sie. Völliger Blödsinn, wenn ihr mich fragt. Das passiert im Übrigen, wenn Frauen versuchen zwischen den Zeilen zu lesen, was Mann nicht ausdrücken will und auch nicht in Zukunft ausdrücken wollte. Doch diesen Schwachsinn redet sie sich ein und glaubte fest daran. Sonst würden die letzten zwei Jahre für sie keinen Sinn ergeben, in denen ihr einziges Ziel darin bestand immer mal wieder bei mir aufzutauchen und auf ganz mysteriöse Art und Weise jedes Mal wieder zu verschwinden. Ich bekenne mich sogar für schuldig, in den meisten Fällen ihr Verschwinden ausgelöst, wenn nicht sogar absichtlich verursacht und in einigen Fällen selbst nachgeholfen zu haben.
„Du bist so gemein“, schmollte sie.
Eins habe ich neben ihrer äußerlichen Perfektion doch glatt vergessen euch noch zu erzählen. Sie kann Gedanken lesen, weswegen ich mich nicht mal in meine eigene Gedankenwelt vor ihr zurückziehen kann. Der Satz: Zweisein heißt Einssein im Geiste bekommt durch sie eine völlig neue Bedeutung. Kurzum: Sie nervt ...und sie liebt mich ...und das nervt noch mehr... und sie wird nicht müde das jedem zu erzählen... und das nervt noch mehr. Wie ihr seht. Es ist ein verfluchter Teufelskreis.
Ich bin der felsenfesten Überzeugung und mit mir bestimmt eine Menge anderer Männer, dass ich doch nicht nur für eine einzelne Frau geboren worden bin. Ich brauchte meine persönliche Freiheit und Vanessa engte mich ein.
„Du grübelst schon wieder, wie du mich loswerden könntest.“
„Ach wie kommst du denn darauf?“ Ironie verstand Vanessa leider auch nicht. Deswegen interpretierte sie solche Sätze, wie den eben von mir gegeben ungefähr so: Oh er hat Interesse an mir, denn er will wissen, was ich denke. Das ich so aber nicht im Geringsten von ihr dachte, begriff sie ganz und gar nicht.
„Ich kann Gedanken lesen. Schon vergessen?“-
„Genau das ist das Problem. Du liest meine Gedanken.“
Das war nicht das offensichtliche Problem, welches ich mit ihr hatte, denn das Problem, welches ich mit Vanessa teilte, war ganz anderer Natur, aber dazu kommen wir später. Ich will nicht vorweg greifen und euch den ganzen Spaß am das Lesen meiner Geschichte zerstören.
Ich merkte gar nicht, wie wir immer tiefer in die Stadt hineinliefen. Die Häuser wurden immer enger und die Straße spitzte sich zu. Plötzlich tauchte im Halbdunkel der Straße ein Kneipenschild auf: „Zum torkelnden Affen“ hieß es. Ich stieß die Tür zum Lokal auf, trat ein und setzte mich. Vanessa tat es mir gleich. „Zwei Bier“, gab ich die Bestellung auf. Der Wirt flink, obwohl ihm der rechte Fuß fehlte und er auf einem Stock sich fortbewegte, brachte prommt die Bestellung und nahm die vier Kupferstücke entgegen. Dann setzte ich das kühle Bier an und leerte es fast in einem kräftigen Zug. Vanessa nippte nur zögerlich daran. „Nun stell dich nicht so an! Wenn du mit mir unterwegs bist, musst du auch Einen mit mir heben.“ Ich prostete ihr zu und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sie trank.
Plötzlich hielt sie inne. „Warum läufst du vor mir weg?“, fragte sie mich über ihren Humpen hinweg. „Ich laufe nicht vor dir weg. Es kommt dir nur so vor. Ich gehe dir aus dem Weg.“ -
„Aber immer, wenn wir uns begegnen, sagst du zu mir: Ich soll dich verlassen und mir einen Anderen suchen, der besser zu mir passt.“
„Das werde ich dir auch diesmal sagen.“
Sie beugte sich zu mir vor: „Ich kann das aber nicht. Ich liebe dich Klaudius.“
Genau das waren die Worte, die ich nicht von ihr hören wollte. Mein Margen revoltierte.
„Ich liebe dich wirklich...“ In ihren grünen strahlenden Augen standen kleine Tränchen.
„Ich liebe dich aber nicht.“ antwortete ich harsch.
Sie krallte sich an meinem Arm fest, „Aber warum denn nicht?“
„Weil dich alle lieben.“ Jetzt war es heraus. Ich hatte den unvermeidlichen Grund laut ausgesprochen, was mich immer an ihr nervte. „Wir sind nie alleine. Oder ich bin ständig, wegen dir in irgendwelche Hahnenkämpfe verwickelt. Und ich habe es so satt - mich für dich verprügeln zu lassen. Mach mal deine süßen Augen auf! Sieh dich doch mal allein hier um!“
Wirklich alle männlichen Augenpaare starrten halb lüstern, halb auf dem Sprung der holden Vanessa zu Hilfe zu eilen, zu unserem Tisch hinüber. Auch die Blicke der Frauen in der Kneipe sprachen Bände. Klüger wäre es gewesen die Kneipe gleich zu verlassen. Doch ich setzte noch eins drauf: „Außerdem mag ich nicht, wie du bist. Dein ganze Art: Immer niedlich... immer freundlich ... immer perfekt, dass halte ich im Kopf nicht aus. Ich bin auch nur ein Mann.“ Jetzt brachen die Tränchen, wie Seen aus ihren Augen hervor, welche sie noch bis gerade eben mühevoll unterdrückte:
„Du bist scheußlich.“,erwiderte sie.
„Siehst du es endlich ein. Ich bin nicht der richtige Mann für dich.“
Unter Schluchzen und Heulen, stieß sie hervor: „Nein. Ich liebe dich...“
Ihr seht selbst, sie verstand mich nicht ein bisschen. Es tat mir in der Seele weh, sie in ihrem Elend so sitzen zu sehen. Doch wenn ich jetzt nachgab, lernte sie es nie. Eigentlich bin ich gar nicht so ein Unhold. Doch Vanessa erweckte in mir meine dunkelste Seite zum Leben.
„Ich werde jetzt gehen“, teilte ich ihr mit und wollte meinen Arm aus ihrer Umklammerung befreien. Doch sie hielt diesen fest und ließ ihn einfach nicht los. Sie hing wie Blei an mir.
"Nein. Bitte bleib! "Flüsterte sie mit gebrochener Stimme und schmiegte sich an meinen Arm, als hätte das vorherige Gespräch zwischen uns niemals stattgefunden...